Der feste Geschäftsort
Der klassischste und offensichtlichste Tatbestand ist das Vorhandensein eines festen Geschäftsorts. Das Gesetz definiert dies als einen physischen Ort, der dem Unternehmen vollständig oder teilweise zur Verfügung steht und wo Geschäftstätigkeiten ausgeübt werden. Der Schlüssel liegt im Wort "fest". Das bedeutet eine gewisse Stabilität und Kontinuität. Ein gemietetes Büro, eine Fabrikhalle oder ein Einzelhandelsgeschäft sind klare Fälle. Aber Vorsicht: Es geht nicht immer um Eigentum oder formellen Mietvertrag. Ich erinnere mich an einen Fall eines deutschen Maschinenbauers, der für die Montage und Inbetriebnahme einer Anlage über sechs Monate einen abgetrennten Bereich innerhalb der Fabrikhalle des Kunden nutzte. Dies wurde von den Behörden als fester Geschäftsort gewertet, weil der Bereich de facto unter der Kontrolle des deutschen Unternehmens stand und für eine signifikante Zeitdauer genutzt wurde. Ein einfacher Hotelraum für kurzfristige Besprechungen fällt hingegen normalerweise nicht darunter. Entscheidend ist die tatsächliche und andauernde Verfügungsgewalt über den Raum. Die Behörden prüfen hier sehr genau: Gibt es einen Schild mit dem Firmennamen? Wer trägt die Nebenkosten? Ist der Ort in Geschäftspapieren oder auf Visitenkarten angegeben? All das sind Indizien, die in der Summe ein Bild ergeben.
Ein weiterer, oft übersehener Punkt ist die Nutzung von Shared-Space oder virtuellen Büros. Viele internationale Anbieter bieten diese Dienste in China an. Rechtlich gesehen stellt sich hier die Frage, ob der ausländische Unternehmensteilnehmer hier eine "feste" Basis hat. Wenn ein Unternehmen einen festen Schreibtisch, einen festen Schrank und eine feste Telefonnummer über einen längeren Zeitraum zugewiesen bekommt und dies für Kundenkontakte nutzt, kann die Grenze zur Betriebsstätte schneller überschritten sein, als man denkt. Die Praxis zeigt, dass die lokalen Steuerämter hier zunehmend sensibilisiert sind. Ein pauschales "Das ist nur eine Briefkastenadresse" zieht nicht mehr. Es kommt auf die konkrete Nutzung und die daraus abgeleitete Geschäftstätigkeit an.
Bauausführungsstellen
Dies ist einer der am häufigsten missverstandenen Bereiche. Viele ausländische Unternehmen wissen, dass eine Bauausführungsstelle eine Betriebsstätte darstellt, aber die Definition der Zeitschwelle ist kritisch. Das Gesetz sieht vor, dass eine Bau-, Montage-, Installations- oder Überwachungsstelle ab einer Dauer von sechs Monaten eine Betriebsstätte begründet. Die Krux liegt in der Berechnung dieser sechs Monate. Sie beginnen nicht erst mit dem ersten Spatenstich, sondern mit der Unterzeichnung des Vertrags oder dem Beginn der Vorbereitungsarbeiten in China. Auch Unterbrechungen werden zusammengerechnet. Ein Fall aus meiner Praxis: Ein österreichischer Anlagenbauer hatte mehrere kleinere Service- und Wartungsprojekte bei demselben chinesischen Kunden über einen Zeitraum von 18 Monaten. Jedes Einzelprojekt dauerte nur 2-3 Monate. Die Steuerbehörde argumentierte erfolgreich, dass es sich um eine zusammenhängende Tätigkeit für ein einheitliches Projekt handelte, wodurch die Gesamtdauer 6 Monate überschritt. Das Unternehmen musste rückwirkend Steuern nachzahlen, plus Zinsen und Strafen – eine schmerzhafte Lektion.
Besonders heikel sind auch sogenannte "Supervisory Activities". Wenn ausländisches Personal zur Überwachung eines von einem chinesischen Partner durchgeführten Bauprojekts vor Ort ist, kann bereits diese Überwachungstätigkeit, wenn sie sechs Monate überschreitet, eine eigene Betriebsstätte konstituieren. Die Behörden prüfen hier die Anwesenheitslisten, Visa und Flugtickets sehr genau. Mein Rat ist hier immer: Führen Sie von Anfang an eine detaillierte Projektzeiterfassung und konsultieren Sie frühzeitig einen Steuerberater, um die steuerlichen Konsequenzen der Projektplanung zu modellieren. Oft lässt sich durch eine geschickte vertragliche und operative Strukturierung das Risiko minimieren.
Vertreter ohne Vertretungsvollmacht
Dies ist eine der subtilsten Fallstricke im chinesischen Betriebsstättenrecht. Ein ausländisches Unternehmen kann eine steuerliche Betriebsstätte in China haben, ohne dort auch nur einen Quadratmeter Bürofläche zu unterhalten. Entscheidend ist die Tätigkeit einer Person. Wenn eine Person im Namen des ausländischen Unternehmens Verträge abschließt und bei der Vertragsausführung regelmäßig entscheidungsbefugt ist, begründet dies eine Betriebsstätte. Der Begriff "Vertreter ohne Vertretungsvollmacht" (im Fachjargon oft "dependent agent" genannt) ist hier zentral. Es geht nicht um einen formell bestellten Generalbevollmächtigten. Vielmehr reicht es aus, wenn ein Mitarbeiter, der vielleicht offiziell beim europäischen Headquarter angestellt ist, aber dauerhaft in China lebt und von dort aus wiederholt und gewohnheitsmäßig Angebote unterzeichnet, Verhandlungen führt und damit de facto bindende Geschäfte für sein Unternehmen tätigt.
Ich hatte einen Klienten, einen Schweizer Hightech-Zulieferer, dessen "Sales Director Greater China" von Shanghai aus operierte. Er war formal bei der Schweiz angestellt, hatte aber die volle Autorität, Preise und Lieferbedingungen mit chinesischen Kunden final zu verhandeln und zu bestätigen. Sein Arbeitsvertrag und seine Visumspapiere zeigten dies klar. Für die Steuerbehörde war dies ein klassischer Fall einer durch einen abhängigen Vertreter begründeten Betriebsstätte. Das Unternehmen musste für alle über China getätigten Umsätze dort Körperschaftsteuer abführen. Die Lösung bestand später in der Gründung einer eigenständigen chinesischen Tochtergesellschaft (WFOE), die dann klar als steuerlicher Inländer behandelt wurde. Die Moral: Die tatsächliche Entscheidungsmacht ist wichtiger als die formelle Stellenbeschreibung.
Lagerhaltung und Lieferung
Die reine Lagerhaltung von Waren zum Zweck der Lagerung, Ausstellung oder Lieferung durch ein ausländisches Unternehmen stellt für sich genommen normalerweise keine Betriebsstätte dar. Dies ist eine wichtige Ausnahme und Erleichterung für Handelsunternehmen. Allerdings ist die Grenze auch hier fließend. Sobald das Lager für andere als reine Lagerzwecke genutzt wird, etwa für die Bearbeitung oder Veränderung der Waren durch Mitarbeiter des ausländischen Unternehmens, kippt die Bewertung. Stellen Sie sich einen französischen Weinimporteur vor, der in einem Bonded Warehouse in Shanghai nicht nur lagert, sondern dort auch Mitarbeiter beschäftigt, die die Weine etikettieren, umpacken und für den lokalen Markt aufbereiten. Diese Tätigkeit geht weit über die reine Lagerhaltung hinaus und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit als Betriebsstätten-Tätigkeit eingestuft.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Frage, wer die Lieferung vornimmt. Wenn der ausländische Verkäufer die Waren an einen chinesischen Kunden verkauft, aber die Lieferung aus einem Lager in China durch einen Drittlogistiker erfolgt, ist das meist unkritisch. Problematisch wird es, wenn die ausländische Gesellschaft eigenes Personal für die Auslieferung, Installation oder Kundeneinweisung einsetzt und diese Tätigkeit eine gewisse Dauer und Regelmäßigkeit erreicht. Hier verschwimmen die Grenzen zur Dienstleistungserbringung. Eine saubere vertragliche Trennung zwischen Verkauf (FOB Hafen) und nachgelagerter Serviceleistung (durch eine separate Service-Entität oder einen lokalen Partner) ist oft der Schlüssel zur Vermeidung ungewollter Betriebsstätten.
Dienstleistungserbringung vor Ort
Die Erbringung von Dienstleistungen durch Personal des ausländischen Unternehmens in China unterliegt einer speziellen zeitlichen Schwelle. Nach den aktuellen Regeln führt die Erbringung von Dienstleistungen in China innerhalb eines beliebigen 12-Monats-Zeitraums für über 183 Tage zur Begründung einer Betriebsstätte. Diese Tage werden für alle im Unternehmen zusammengerechnet. Es geht also nicht um einen einzelnen Mitarbeiter, sondern um die kumulierte Anwesenheit aller entsandten oder vor Ort eingestellten Dienstleister. Ein Softwareunternehmen, das über das Jahr verteilt immer wieder verschiedene Consultants für Implementierungsprojekte nach China schickt, muss diese Tage akribisch zusammenrechnen.
Die größte Herausforderung hier ist die praktische Nachverfolgung und Dokumentation. Die Steuerbehörden haben Zugriff auf Ein- und Ausreisedaten und können diese mit den Angaben im Unternehmen abgleichen. Ein häufiger Fehler ist die Annahme, dass Wochenenden oder Urlaubstage im Land nicht zählen – doch sie zählen sehr wohl zur physischen Anwesenheit. In einem konkreten Fall eines britischen Beratungsunternehmens führte die pauschale Schätzung der Behörden, basierend auf Flugbuchungen und Visa-Stempeln, zu einer erheblichen Nachforderung. Seitdem empfehle ich meinen Klienten dringend, ein zentrales "Mobility Tracking" einzuführen, um jederzeit den Überblick über die kumulierten Anwesenheitstage zu haben. Das ist lästige Bürokratie, aber sie schützt vor existenziellen Steuernachforderungen.
Digitale Präsenz und "virtuelle" Betriebsstätte
Dies ist die neue Frontier im Betriebsstättenrecht weltweit und auch in China im Kommen. Die traditionellen Kriterien fokussieren auf physische Präsenz. Doch was ist mit einem ausländischen Tech-Unternehmen, das über eine hochgradig lokalisierte App, Server in China und ein aggressives digitales Marketing massive Umsätze in China generiert, aber kein einziges eigenes Angestelltenverhältnis vor Ort hat? Bislang ist die reine digitale Präsenz in China noch nicht als Betriebsstätte anerkannt, aber der Druck wächst. Die Behörden beobachten die internationalen Diskussionen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft (z.B. "Significant Economic Presence") sehr genau.
Indirekt können jedoch bereits heute digitale Faktoren die Beurteilung einer Betriebsstätte beeinflussen. Wenn die lokale Marketingaktivität, betrieben durch einen Vertragsagenten, so intensiv ist, dass dieser Agent de facto als "abhängiger Vertreter" (siehe oben) agiert, ist der Schritt zur Betriebsstätte nicht weit. Ein weiterer Punkt ist die Nutzung von in China gehosteten Servern für Kerngeschäftsprozesse. Während dies allein nicht ausreicht, kann es in Kombination mit anderen Faktoren (wie vor Ort tätigem Wartungspersonal) als Indiz für eine feste Geschäftseinrichtung gewertet werden. Für Investoren in digitale Geschäftsmodelle gilt: Die Rechtslage ist hier im Fluss. Man sollte sich nicht in falscher Sicherheit wiegen, nur weil man kein physisches Büro hat. Die steuerliche Planung muss diese dynamische Entwicklung im Auge behalten.
Zusammenfassung und strategische Empfehlungen
Wie wir gesehen haben, ist die Frage nach der Betriebsstätte in China alles andere als trivial. Es ist ein Geflecht aus physischen, zeitlichen und funktionalen Kriterien, bei dem die tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit und die Ausübung von Autorität oft schwerer wiegen als formelle Vertragsstrukturen. Die chinesischen Steuerbehörden sind in dieser Frage hochprofessionalisiert und gehen zunehmend risikobasiert und datengestützt vor. Die Kosten einer verspäteten oder verpassten Betriebsstättenregistrierung können verheerend sein: rückwirkende Steuernachzahlungen für oft mehrere Jahre, Zinsen und mögliche Strafen bis zu 50% der hinterzogenen Steuer.
Meine persönliche Einsicht nach all den Jahren ist: Die beste Strategie ist proaktive Transparenz und frühe Beratung. Versuchen Sie nicht, an den Rändern zu tricksen. Wenn Ihr China-Geschäft substanziell und nachhaltig ist, ist die Gründung einer lokalen Rechtseinheit (WFOE) oft die sauberste und langfristig sicherste Lösung. Sie schafft Klarheit, begrenzt die Haftung und ist ein klares Commitment zum Markt. Für projektbasierte oder initiale Aktivitäten ist eine minutiöse Planung unter Berücksichtigung der 6-Monats- und 183-Tage-Schwellen unabdingbar. Dokumentieren Sie alles: Verträge, Reiseaktivitäten, Entscheidungsbefugnisse. Und denken Sie daran: Was in einem anderen Land als "harmlose Geschäftsentwicklung" durchgeht, kann in China schnell den Tatbestand einer Betriebsstätte erfüllen. In einer sich wandelnden Welt, besonders mit dem Aufstieg der digitalen Wirtschaft, rate ich Investoren, nicht nur auf den aktuellen Buchstaben des Gesetzes zu schauen, sondern auch auf dessen Geist und die erkennbaren Entwicklungstrends. Die Steuerbehörden werden ihre Interpretationen kontinuierlich anpassen.
Einschätzung der Jiaxi Steuer- & Finanzberatung
Bei Jiaxi begleiten wir seit Jahrzehnten internationale Unternehmen bei ihrem Markteintritt in China. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Betriebsstättenfrage zu den kritischsten Steuerrisiken überhaupt zählt. Ein strukturierter Prüfprozess ist unerlässlich. Wir empfehlen einen dreistufigen Ansatz: Erstens, eine detaillierte "Health Check"-Analyse der bestehenden und geplanten China-Aktivitäten gegen alle sieben typischen Betriebsstättenkriterien. Zweitens, die Entwicklung einer maßgeschneiderten Operating & Tax Governance, die klare Richtlinien für Reisetätigkeiten, Vertretungsvollmachten und Projektlaufzeiten setzt. Drittens, die regelmäßige Überprüfung dieses Modells, da sich sowohl die Geschäftstätigkeit als auch die steuerliche Auslegungspraxis ändern. Ein besonderer Fokus liegt für uns auf der Schnittstelle zwischen Vertriebs- und Service-Teams. Hier entstehen die meisten Grauzonen. Unser Credo ist: Steuerliche Effizienz in China entsteht durch kluge Planung und Compliance, nicht durch aggressive Vermeidung. Eine frühzeitige, offene Kommunikation mit den zuständigen Steuerbehörden (im Rahmen von Vorabverständigungsanfragen) kann oft größere Probleme im Nachhinein verhindern und schafft eine vertrauensvolle Basis. In einer zunehmend digitalisierten und vernetzten Geschäftswelt sehen wir es als unsere Aufgabe, unsere Klienten nicht nur für die heutigen, sondern auch für die morgen absehbaren Betriebsstätten-Risiken zu wappnen.