Sind die Beschränkungen für ausländische Beteiligungsverhältnisse im Automobilbau vollständig aufgehoben? Ein kritischer Blick für Investoren
Meine geschätzten Leserinnen und Leser, die sich mit dem chinesischen Markt beschäftigen – herzlich willkommen. Mein Name ist Liu, und ich blicke auf über 14 Jahre Erfahrung in der Registrierungsabwicklung zurück, davon 12 Jahre im Dienst für internationale Unternehmen bei der Jiaxi Steuer- und Finanzberatungsgesellschaft. Immer wieder treffe ich in meiner täglichen Arbeit auf Investoren, die mit leuchtenden Augen fragen: „Herr Liu, heißt es nicht, die Beschränkungen für ausländische Beteiligungen in der Automobilindustrie seien komplett gefallen? Können wir jetzt endlich zu 100% einsteigen?“ Diese Frage klingt verlockend einfach, die Antwort ist jedoch, wie so oft in China, ein klarer Fall von „Ja, aber…“. Die offizielle Aufhebung der Kapitalbeschränkungen ist ein bedeutender Meilenstein, markiert aber keineswegs das Ende aller regulatorischen Überlegungen. Dieser Artikel möchte Ihnen, dem erfahrenen Investor, eine differenzierte Landkarte zeichnen – jenseits der Schlagzeilen und tief in die praktische Realität der Branche.
Die offizielle Rechtslage: Ein Paradigmenwechsel
Seit dem 1. Januar 2022 ist es tatsächlich so: Die langjährige Beschränkung, nach der ausländische Investoren in Joint Ventures für die Herstellung von Personenkraftwagen nur bis zu 50% halten durften, ist Geschichte. Dies gilt auch für die Herstellung von Nutzfahrzeugen. Die „Sonderverwaltungsmaßnahmen für den Marktzugang negativer Listen“ haben diese Sektoren gestrichen. Das ist ein fundamentaler Wandel, der das Vertrauen in Chinas Öffnungspolitik stärken soll. In der Theorie können Sie nun also eine hundertprozentige Tochtergesellschaft gründen, um Autos zu bauen, oder Ihre Anteile in einem bestehenden Joint Venture aufstocken. Die Tür steht offen.
Doch Vorsicht: Diese offene Tür führt Sie in einen Raum mit vielen anderen, ebenso wichtigen Türen. Die Aufhebung der Kapitalobergrenze ist nur eine regulatorische Hürde von vielen. Unmittelbar danach treffen Sie auf die Anforderungen der „Nationalen Entwicklungspolitik für die Automobilindustrie“, auf Umwelt- und Energieverbrauchsstandards (die CAFC- und NEV-Quote), auf strenge Zulassungsverfahren für neue Fahrzeuge (Typgenehmigung) und nicht zuletzt auf die lokalen Umsetzungsrealitäten. Ein Mandant von uns, ein deutscher Zulieferer, der 2023 eine WFOE (Wholly Foreign-Owned Enterprise) für hochspezialisierte Elektroantriebskomponenten gründete, sagte treffend: „Die 100%-Hürde war gefallen, aber der Marathon der behördlichen Abstimmungen hatte gerade erst begonnen.“
Unsichtbare Hürden und lokale Realitäten
Hier wird es spannend, und hier kommt meine praktische Erfahrung ins Spiel. Während die Zentralregierung die Richtung vorgibt, obliegt die konkrete Umsetzung und Genehmigung oft den lokalen Behörden. Und diese haben ihre eigenen wirtschaftlichen und industriepolitischen Agenden. Eine hundertprozentige ausländische Neugründung mag auf dem Papier möglich sein, aber ob Sie die gleiche Unterstützung bei Landzuteilung, Steueranreizen oder Infrastrukturanbindung erhalten wie ein Joint Venture mit einem starken lokalen Partner, steht auf einem anderen Blatt.
Ich erinnere mich an einen Fall vor zwei Jahren, bei dem ein europäischer Investor einen rein ausländischen Produktionsstandort für E-Auto-Ladestationen aufbauen wollte. Die Provinzebene war zunächst begeistert. Als es jedoch in die Details der Projektgenehmigung ging, wurde subtil nach einer „technologischen Kooperation“ mit einem einheimischen Champion gefragt – nicht als rechtliche Bedingung, aber als starke Empfehlung für einen reibungslosen Prozess. Das ist die Grauzone, in der sich viele Projekte bewegen. Die formelle Liberalisierung hebt die informellen Netzwerke und Erwartungen nicht auf. Ein kluger Investor berechnet daher nicht nur die Kapitalstruktur, sondern auch den „Compliance- und Beziehungspuffer“ in seiner Planung.
Der Joint Venture bleibt eine strategische Option
Nur weil man jetzt alleine spielen darf, heißt das nicht, dass das Teamspiel obsolet ist. Im Gegenteil. Für viele etablierte ausländische OEMs sind die bestehenden Joint Ventures tief verwurzelte, wertvolle Assets mit etablierten Lieferketten, Vertriebsnetzen und Markenpräsenz. Eine einseitige Aufstockung der Anteile oder gar eine Auflösung des JV ist oft ein politisch und operativ hochsensibles Unterfangen, das den langfristigen Goodwill gefährden kann.
Der strategische Wert eines kompetenten lokalen Partners geht über reine Kapitalanteile hinaus. Er versteht den Heimatmarkt, navigiert behördliche Prozesse, managt lokale Belegschaften und dient als kultureller Dolmetscher. In der Ära der intelligenten, vernetzten Elektrofahrzeuge wird der Zugang zu lokalen Daten, Software-Ökosystemen und Verbrauchertrends immer kritischer. Ein Partner kann hier Türöffner sein. Die Frage ist also nicht mehr „Dürfen wir alleine?“, sondern „Sollten wir alleine – und wenn ja, zu welchem Preis?“
Neue Spieler und die 100%-Chance
Für Newcomer, insbesondere für reine Elektroauto-Start-ups oder hochspezialisierte Technologieanbieter, ist die vollständige Liberalisierung ein echter Game-Changer. Sie können agil, ohne Kompromisse bei der Unternehmenskultur und Technologiehoheit, von null starten. Tesla hat hier mit seiner Gigafactory in Shanghai den Weg geebnet und bewiesen, dass ein rein ausländisches Modell unter den richtigen Bedingungen spektakulär erfolgreich sein kann.
Allerdings: Tesla ist auch ein Sonderfall mit enormer Verhandlungsmacht. Für die meisten anderen bedeutet der 100%-Weg immense Kapitalbindung, komplette Eigenverantwortung für alle Wertschöpfungsschritte in China und ein hohes Alleinstellungsrisiko. In meiner Beratung empfehle ich solchen Unternehmen oft eine gründliche „Make-or-Partner“-Analyse, bevor sie sich für das reine WFOE-Modell entscheiden. Die Freiheit ist da, aber sie hat ihren Preis.
Technologie- und Datensicherheitsregularien
Ein absolut zentraler Punkt, der oft übersehen wird: Parallel zur Liberalisierung der Kapitalanteile hat China einen strengen regulatorischen Rahmen für Datensicherheit und Technologietransfer aufgebaut. Gesetze wie der „Daten-Sicherheitsgesetz“ und der „Persönlichkeits-Datenschutzgesetz“ gelten natürlich auch für hundertprozentige ausländische Tochtergesellschaften.
Für die Automobilbranche, die zunehmend zu einem „rollenden Computer“ wird, ist das von existentieller Bedeutung. Wo werden Fahrzeugdaten gespeichert? Wie werden sie übermittelt? Welche Softwarekomponenten werden verwendet? Die Kontrolle über die Daten kann in der Praxis eine viel stärkere Beschränkung darstellen als die Kontrolle über das Kapital. Ein ausländischer Hersteller mag zwar 100% der Anteile halten, aber wenn seine Fahrzeuge sensible geografische Daten erfassen, unterliegt er strengen Lokalisierungs- und Exportkontrollvorschriften. Diese neue Ebene der Regulierung schafft eine ganz andere Art von „Beschränkung“, die intelligent gemanagt werden muss.
Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die Beschränkungen für ausländische Beteiligungsverhältnisse im Automobilbau sind formal und kapitalseitig tatsächlich vollständig aufgehoben. Dies ist ein historischer Schritt und ein klares Signal der Öffnung. Die praktische Investitionsrealität ist jedoch komplexer. Sie bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen zentraler Liberalisierung und lokalen Umsetzungsrealitäten, zwischen der Freiheit zum Alleingang und dem anhaltenden Wert strategischer Partnerschaften, sowie zwischen kapitalmarktrechtlicher Öffnung und neu erstarkten Regularien in den Bereichen Daten und Technologie.
Für Investoren bedeutet dies: Atmen Sie durch, freuen Sie sich über die größere strategische Flexibilität, aber legen Sie den Fokus nun noch stärker auf die detaillierte Due Diligence jenseits der Kapitalfrage. Prüfen Sie den lokalen industriepolitischen Kontext, modellieren Sie verschiedene Kooperationsszenarien (von WFOE über JV bis zu technologischen Kooperationen) und stellen Sie von Tag eins an ein robustes Compliance-System für Daten und Technologie auf. Die Zukunft gehört denen, die die formelle Freiheit klug mit lokalem Sachverstand und regulatorischer Weitsicht kombinieren. Der chinesische Automarkt ist offener denn je, aber er verlangt nach wie vor ein tiefes Verständnis für sein einzigartiges Ökosystem.
Einschätzung der Jiaxi Steuer- und Finanzberatung
Aus unserer täglichen Beratungspraxis bei Jiaxi sehen wir die Aufhebung der Kapitalbeschränkungen als Beginn einer neuen, reiferen Phase für ausländische Investitionen in Chinas Automobilsektor. Sie verschiebt den Hebel der Entscheidung vom „Dürfen“ zum „Wollen“ und „Können“. Für unsere Mandanten bedeutet das: Die strategische Planung gewinnt enorm an Bedeutung. Wir raten dazu, die Unternehmens- und Kapitalstruktur nicht isoliert, sondern integriert mit Steuerplanung, Transfer-Pricing-Überlegungen und der Absicherung gegen regulatorische Risiken zu betrachten. Die Wahl zwischen WFOE und JV hat direkte Auswirkungen auf die Gewinnabführung, die Verrechnungspreise für Technologielizenzen und die steuerlichen Anreize vor Ort. Ein 100%-Tochterunternehmen bietet mehr Kontrolle, kann aber auch bedeuten, dass allein die Verantwortung für das gesamte Steuer- und Rechtsrisiko getragen wird. Wir helfen unseren Kunden, diese Abwägung mit konkreten Zahlen und Szenarien zu unterlegen. Die größte Gefahr ist momentan unserer Einschätzung nach, die formale Liberalisierung als Freibrief für ein „Weiter-so“ zu missverstehen. Erfolgreich sein werden diejenigen, die ihre China-Strategie von Grund auf neu denken – mit der Kapitalfrage als einem, aber nicht dem einzigen, strategischen Puzzlestein.